DOV hilft freischaffenden Orchestermusiker*innen

Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), die Gewerkschaft der Orchestermusiker*innen, versucht schon seit einiger Zeit, die Situation der freischaffenden Orchestermusiker*innen („Aushilfen“) zu verbessern. Erinnert sei hier an die „Fair-Pay-Wochen“, in denen vor zwei Jahren auf die dramatisch zu niedrigen Aushilfsgagen hingewiesen wurde. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Projekten und Ideen der DOV, die das Leben der Freischaffenden erleichtern sollen. Ein Blick auf die Homepage der DOV (Rubrik „Freischaffende“) lohnt sich auf jeden Fall! Dort findet man unter anderem Musterverträge oder Vorschläge zu Mindestgagen.

Per Liste zum Aushilfsengagement

Ein weiteres Projekt, das am 15.03.2021 vom DOV-Vorstand beschlossen wurde, ist die „Aushilfsliste“. Dort können sich freischaffende Musiker*innen eintragen lassen, wenn sie DOV-Mitglieder sind und daran interessiert sind, sich als Aushilfe für Orchesterprojekte engagieren zu lassen. Der Hintergrund ist, dass besonders die Freischaffenden in der Corona-Pandemie unter massiven Einkommenseinbußen gelitten haben, weil fast alle Auftritte weggefallen sind. Die festangestellten Orchestermusiker*innen dagegen kamen und kommen vergleichsweise gut durch die Krise, weil sie viel besser abgesichert sind.

Nun ist es aber so, dass viele Orchester bevorzugt Musiker*innen für Aushilfsdienste anfragen, die bereits in anderen Orchestern fest angestellt sind. Diese Praxis kritisiert die DOV schon länger und auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagt, sie könne sich „in den Verträgen der Stadt- und Staatstheater die Verpflichtung vorstellen, einen bestimmten Anteil freiberuflicher Künstlerinnen und Künstler einzubeziehen“. Freischaffende müssen schließlich von solchen Engagements ihre Miete bezahlen, während sie für Festangestellte nur ein Zuverdienst zu ihrem eigentlichen Gehalt darstellen. Hier soll die Aushilfsliste der DOV helfen.

Wenn die Liste fertig ist, soll sie an die Orchester mit der Bitte weitergeleitet werden, bei zukünftigen Projekten zuerst die Freischaffenden zu berücksichtigen. So können die Verdienstausfälle, die diese in der Krise erlitten haben, zumindest abgemildert werden. Gleichzeitig appelliert die DOV auch an die fest angestellten Orchestermusiker*innen, sich weiterhin solidarisch mit den Freischaffenden zu zeigen: Logischerweise kann die Liste nur funktionieren, wenn sie eine Anfrage auch mal zu Gunsten der Freischaffenden ablehnen oder vielleicht sogar einmal nachfragen, ob denn vorab wirklich kein*e freischaffende*r Musiker*in für das Engagement gefunden wurde.

Begrüßenswertes Projekt – unklarer Ausgang

Wir begrüßen dieses Projekt sehr, weil wir wie die DOV der Meinung sind, dass Orchester noch viel mehr für die Probleme der Freischaffenden sensibilisiert werden müssen. Besonders nach der Corona-Pandemie sollte kein „weiter wie bisher“ erfolgen, sondern nach solidarischen Lösungen und zukunftssicheren Strategien gesucht werden, von der alle Mitglieder des Klassikbetriebs profitieren können. Dennoch gibt es sicherlich auch einige Kritikpunkte an der Liste, auf die wir hier näher eingehen möchten.

Zunächst einmal ist die Liste nach aktuellem Stand nur DOV-Mitgliedern vorbehalten. Uns ist nicht ganz klar, warum dies so beschlossen wurde. Vermutlich gibt es viele Freischaffende, die nicht Mitglied sind, aber genauso von der Krise getroffen wurden. Es besteht die Gefahr, dass sich die Musik-Szene noch weiter aufspaltet als ohnehin schon. Nicht-Mitglieder könnten im schlimmsten Fall keine Engagements mehr erhalten und dazu gedrängt werden, Mitglied zu werden, auch wenn sie dies gar nicht wollen. Möglicherweise gibt es auch Musiker*innen, die zwar gerne Mitglied werden würden, aber aus irgendeinem Grund nicht die Aufnahmekriterien der DOV erfüllen. Auch wenn es natürlich begrüßenswert wäre, wenn mehr Freischaffende DOV-Mitglied würden, damit sie eine noch bessere gewerkschaftliche Vertretung bekämen – einen impliziten Zwang zur Mitgliedschaft halten wir bei einem Projekt, das auf Solidarität beruht, nicht für den richtigen Weg.

Auch ist fraglich, wie sich diese Liste beispielsweise von der Künstlervermittlung ZAV der Bundesagentur für Arbeit unterscheidet, die ja schon seit vielen Jahren Aushilfsdienste vermittelt. Unsere Erfahrung mit der ZAV zeigt, dass über solche Wege meist nur Anfragen kommen, für die die üblichen Kanäle erschöpft waren, sprich: Die Angebote sind oftmals so schlecht, dass sich keine Musiker*innen gefunden haben, die bereit waren, zu solchen Konditionen zu spielen. Wir haben beispielsweise mehrmals Anfragen eines bestimmten Orchesters erhalten, das für eine Probe 55 € und eine Vorstellung 90 € bot und trotz 300 km Anfahrt pro Strecke und Dienst keine Fahrtkosten oder Hotelübernachtung zahlen wollte. Es könnte also passieren, dass die DOV-Liste von den Orchestern erst dann genutzt wird, wenn sie ihre üblichen Aushilfen „abgeklappert“ haben und ihr Angebot nicht verbessern wollen oder können.

Gibt es eine Qualitätskontrolle?

Ein weiteres Problem: Erfahrungsgemäß sind Orchester Aushilfen gegenüber, die sie noch nicht kennen, sehr skeptisch, besonders, wenn es sich um Freischaffende handelt. Wie viele andere Freischaffende auch haben auch wir uns schon bei zahlreichen Orchestern initiativ für Aushilfsdienste beworben. Aus diesen Bewerbungen ist in unserer gesamten Karriere kein einziges Engagement entstanden. Wie soll man also die Orchester dazu bewegen, eine Aushilfe von der Liste zu engagieren, wenn man mit den Aushilfen, die man kennt, gute Erfahrungen gemacht hat? Orchester sind oft sehr besorgt, dass die Qualität eines Konzerts leiden könnte, wenn die Aushilfen nicht über die nötige Expertise verfügten. Sie könnten argumentieren, dass sich im Prinzip jede*r auf die Aushilfsliste setzen lassen kann, ohne dass eine gewisse Qualitätskontrolle erfolgt. Eine DOV-Mitgliedschaft alleine qualifiziert ja nicht prinzipiell zum Orchesterspiel.

Umgekehrt gibt es auch für die Orchester keine Bedingungen, um die Liste nutzen zu dürfen. Es müssen beispielsweise weder die DOV-Mindesthonorare gezahlt werden, noch müssen die Musterverträge genutzt werden, die die DOV seit einigen Monaten auf ihrer Homepage zur Verfügung stellt. Die DOV setzt hier ganz auf die Solidarität der Orchester und der Festangestellten. Diese Strategie baut auf Vertrauen, was wir grundsätzlich sehr begrüßen. Doch nicht umsonst sagt man: „Beim Geld hört die Freundschaft auf.“ Und es gibt leider nach wie vor Orchester, die das Engagieren einer Aushilfe nur als finanzielle Belastung empfinden. Die Kosten hierfür sind in der Regel nicht über Fördermittel gedeckt, sondern müssen durch Einnahmen kompensiert werden. Diese Haltung finden wir persönlich sehr kurzsichtig, da eine Aushilfe ja wesentlich weniger Kosten verursacht als eine Festanstellung und Aushilfen für gewisse Werke oder krankheitsbedingte Ausfälle nun einmal nötig sind. Dennoch entsteht bei solchen Orchestern oft der Eindruck, man würde ihnen als Aushilfe „zur Last fallen“. Es wird nötig sein, dass Orchester diese Haltung ablegen, um die Liste verantwortungsvoll nutzen zu können. Ob dies geschehen wird, bleibt abzuwarten.

Alleingang der DOV?

Unseres Wissens gab es keine direkte Rücksprache mit den Orchestern bezüglich der Aushilfsliste. In der Meldung der DOV dazu steht, dass es sich um eine „Empfehlung“ an die Orchester handelt, die „auf einem aktuellen Beschluss des Gesamtvorstands“ basiert. Es ist also unklar, ob bei den Orchestern überhaupt ein Bedarf für eine solche Liste besteht oder wie hoch die Bereitschaft ist, eine solche zu nutzen. Es sollte sich bei so einem Projekt, das auf Solidarität und Vertrauen beruht, aber niemand übergangen oder in die Ecke gedrängt fühlen. So etwas würde immer nur zu Lasten der Aushilfen selbst gehen. Wir können nicht sagen, wie hier die Haltung der Orchester ist, versuchen aber, dazu noch Informationen zu sammeln. Wenn wir etwas erfahren, werden wir dies natürlich hier veröffentlichen.

Laut DOV werden „die Wirkungen [der Empfehlung] von der DOV-Arbeitsgruppe der Freischaffenden und Lehrbeauftragten evaluiert und ggfs. angepasst“. Wir sind sehr gespannt, was dabei herauskommen wird! Erfahrungsgemäß ist die DOV Kritik und Anregungen gegenüber sehr offen und setzt Empfehlungen auch mal umgehend um. Auf der anderen Seite wird der DOV zu wenig Feedback gegeben – viele wissen wohl gar nicht, dass sie sich mit ihrem Anliegen dorthin wenden können. Wenn man sich also auf die Aushilfsliste setzen lassen will, sollte man erstens bei der DOV nachfragen, wenn einem etwas unklar ist, und zweitens am Ende des Projekts Feedback geben, ob man beispielsweise Aushilfsangebote über diese Liste bekommen hat oder auch ob man eine höhere Solidarität mit den Freischaffenden wahrgenommen hat. Die DOV wird sich über dieses Feedback sicher freuen!

Dann wird sich auch zeigen, ob die DOV mit ihrem Kurs aus Solidarität, Vertrauen und Freiwilligkeit richtig liegt. „Der Beschluss unterstreicht abermals die Solidarität der fest angestellten Berufsmusikerinnen und -musiker mit ihren freischaffenden Kolleginnen und Kollegen“, wird DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens auf der DOV-Homepage zitiert. Wir sind da nicht ganz so optimistisch, ob wirklich bereits so viel Solidarität besteht. Sicherlich gibt es viele Orchester und Festangestellte, denen die Probleme der Freischaffenden sehr bewusst sind. Aber wir haben persönlich auch einige Negativbeispiele erlebt sowie Geschichten von anderen Freischaffenden gehört. Wir denken, dass ein Kurswechsel der Orchester bei der Behandlung der Aushilfen erst dann erfolgen wird, wenn sie durch Tarifverträge oder Gesetze dazu gezwungen sind, weil sie dann gegenüber ihren Geldgebern ganz anders argumentieren können.

Unser Fazit: Werdet DOV-Mitglied!

Trotz aller Kritik: Wir halten die Aushilfsliste für eine sinnvolle Sache und würden Freischaffenden dringend empfehlen, sich auf die Liste setzen zu lassen und – falls das nicht schon längst geschehen ist! – DOV-Mitglied zu werden. Die Frist dazu ist leider schon bald vorbei, also sollte man sich beeilen und der DOV am besten noch in diesem Monat eine Mail schreiben. Neben Anschrift, Instrument und Kontaktdaten ist auch noch eine Angabe nötig, ob man auf der Liste Nord (Schleswig Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern), der Liste West (Nordrhein-Westfalen, Hessen, Saarland, Rheinland-Pfalz), der Liste Ost (Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Thüringen, Sachsen), der Liste Süd (Baden-Württemberg, Bayern) für Orchestermusiker*innen oder der Liste Rundfunkchöre (Sämtliche Rundfunkchöre) für Sänger*innen eingetragen werden will. Man kann sich auf maximal zwei Listen eintragen lassen.

Man sollte diese Liste vielleicht nicht primär als „Muckenvermittlung“ sehen. Besonders in der ersten Zeit ist keine Flut an Anfragen zu erwarten. Vielmehr ist die Liste ein Signal an die Orchester und letztlich auch an die Gesellschaft, dass die Musiklandschaft diverser ist, als viele glauben. Je mehr Namen auf dieser Liste stehen, desto stärker ist das Signal. Wenn nur bei wenigen Orchestern ein Umdenken einsetzt und sie in Zukunft mehr Freischaffende anstelle von Festangestellten engagieren, ist schon viel gewonnen. Für die Zukunft könnten wir uns einen Ausbau des Projekts auch über Corona hinaus vorstellen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Online-Portal, bei dem sich sowohl Orchester als auch Musiker*innen registrieren können? Mit einem Steckbrief könnte man sich dort vorstellen und Qualifikationen nachweisen, Aushilfsangebote könnte man bequem nach Entfernung und Höhe der Gage sortieren, Vertragsabschlüsse – natürlich mit den DOV-Musterverträgen – mit allen benötigten Daten würden automatisch erfolgen, Gesetzesvorgaben bezüglich Gagen oder Fahrtkosten würden zeitnah eingepflegt…

Laura & Daniel

1 Comment

  1. Ulla sagt:

    Das Online-Portal finde ich eine echt gute Idee! Und, wo wir schon mal bei Listen sind, vielleicht könnte es ja auch so eien Art “Blacklist” geben für (wie oben beschriebene) Orchester, die einfach mies zahlen und keine Nebenkosten erstatten. Mir ist schon klar, dass es Orchester mit kleinem Budget wirklich schwer haben, aber das an die Freischaffenden weiter zu geben ist nicht in Ordnung. Vielleicht würde eine solche Liste ja helfen, ein Bewusstsein für den Wert der (freien) Arbeit zu schaffen – auch bei den Freischaffenden.

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