Engagement der Honorarkräfte in Sankt Augustin – ein Erfahrungsbericht

MusikschullehrerInnen, die nicht fest angestellt sind, sondern lediglich einen Honorarvertrag haben, leiden vielerorts unter schlechten Arbeitsbedingungen – darüber hatten wir schon einmal berichtet. Mittlerweile kämpfen Zusammenschlüsse von Honorarkräften in ganz Deutschland darum, das zu ändern. Die Honorarkräfte der städtischen Musikschule in Sankt Augustin haben in dieser Woche einen Etappensieg auf diesem Weg errungen. Da auch ich zum dortigen „Forum für Honorarkräfte“ gehöre, möchte ich hier beschreiben, was genau passiert ist und wie wir das erreicht haben. Ich würde mich freuen, wenn unsere Geschichte anderen Honorarkräften Mut machen würde, sich ebenfalls zu engagieren – denn es funktioniert!

Was bisher geschah

Im Sommer 2019 trafen wir, die Honorarkräfte der Musikschule Sankt Augustin, uns zum ersten Mal, um über die Verbesserung unserer Situation zu beraten. Zuerst führten wir eine interne Umfrage durch, um unsere Lage zu erfassen und gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Dabei stellten wir folgende grundsätzliche Probleme fest, die Honorarkräfte im Gegensatz zu Festangestellten benachteiligen:

  • Verdienstausfall bei Krankheit und in den Ferien (3 Monate im Jahr kein Honorar)
  • Hohe Kosten für Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung
  • keine Arbeitgeberzuschüsse zu o.g. oder zu Fortbildungen
  • Kettenbefristungen mit Kündigungsfristen von zwei Wochen
  • kein Unfallschutz am Arbeitsplatz und auf dem Weg zur Arbeit
  • kein Mutterschutz
  • juristische Unsicherheit durch das Thema „Scheinselbständigkeit“

Diese Probleme präsentierten wir der Stadt im September 2019 in einem offenen Brief. Darin machten wir auch konkrete Lösungsvorschläge und forderten kurzfristig höhere Honorare von 30 € pro 45 Minuten und langfristig feste Anstellungen für die Honorarkräfte. In der Folge wurden wir zur nächsten Sitzung des Kulturausschusses im November 2019 eingeladen.

Der offene Brief der Sankt Augustiner Honorarkräfte zum Nachlesen

Die Demo

Um die ganze Stadt auf unser Anliegen aufmerksam zu machen, veranstalteten wir vor der Sitzung des Kulturausschusses eine kleine Demo: In Form eines „musikalischen Flashmobs“ demonstrierten wir gemeinsam mit unseren SchülerInnen, deren Eltern und unseren fest angestellten KollegInnen vor dem Rathaus. Sehr erfreulich: Ein paar von uns eingeladene Pressevertreter waren ebenfalls anwesend und berichteten über unser Engagement. Dadurch konnten wir unsere Reichweite und damit auch den Druck auf die Politik deutlich erhöhen.

Bei der Sitzung des Kulturausschusses konnten wir unser Anliegen in einer Rede überzeugend darlegen. Viele PolitikerInnen waren schockiert über unsere wirtschaftliche Situation. Für uns war das erst mal schwer nachzuvollziehen: Waren das nicht die Leute, die das alles zu verantworten hatten? Nun schien der Politik erst klar zu werden, dass echte Menschen hinter den Zahlen auf ihren Papieren stehen. Der Ausschuss kam schnell zu der Einigung, sich fraktionsübergreifend mit dem Thema beschäftigen zu wollen. Zahlreiche kleinere Gespräche mit der Verwaltung der Stadt, der Musikschule oder dem Kulturdezernat folgten.

Die Verbesserungen

Im März 2020, also kein halbes Jahr nach den ersten Gesprächen, beschloss der Stadtrat erste Verbesserungen für die Honorarkräfte. Diese umfassen drei Punkte:

  • eine Erhöhung unserer Honorare um 18 % ab dem 1. August 2020
  • eine Kopplung der Honorarsätze an die Tarifverträge des öffentlichen Diensts
  • die Prüfung der „arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit“

Eine Honorarerhöhung um 18 % ist natürlich gewaltig. Es zeigt aber auch, wie lange die Politik bei diesem Thema geschlafen hat: Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes werden schließlich alle zwei Jahre um mehrere Prozentpunkte angehoben. Um wie viel genau, ist Sache der Gewerkschaften, die die Bedingungen der Tarifverträge ausverhandeln. Für freie Musiklehrende gibt es so etwas nicht; und die meisten von uns sind auch nicht in einer Gewerkschaft organisiert. Wenn die Gehälter der fest angestellten Musiklehrenden steigen, werden jedes Mal die Gebühren für die MusikschülerInnen angepasst. Bei diesen Gehaltssteigerungen hat man die Honorarkräfte in Sankt Augustin seit 2011 „vergessen“.

So etwas kann in Zukunft nicht mehr passieren, da die Honorarsätze nun an die Tariferhöhungen des öffentlichen Dienstes gekoppelt sind. Dieser längst überfällige Schritt bewahrt uns – und die Stadtverwaltung 😉 – davor, alle paar Jahre aufs Neue demonstrieren zu müssen! Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr hatten die Orchesteraushilfen noch vergeblich darum gekämpft, ihre Sätze an die Gehaltssteigerungen der fest angestellten KollegInnen anzupassen. Dort ging es sogar um eine Erhöhung von 35 %!

Die Prüfung der „arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit“ ist ein noch komplexeres Thema. Zusammengefasst läuft es auf folgendes heraus: Wer mehr als 50 % seines bzw. ihres freiberuflichen Einkommens von einem Arbeitgeber erhält, hat Anspruch auf Urlaubsgeld. Dieses beträgt dann jährlich ca. 10 % des bei diesem Arbeitgeber erwirtschafteten Einkommens. Ob jemandem das Urlaubsgeld zusteht, wird nun von der Stadt in jedem Einzelfall geprüft, sogar rückwirkend für die letzten drei Jahre. Da wir Honorarkräfte in den Ferien gar kein Geld verdienen können, wäre das Urlaubsgeld natürlich eine große finanzielle Entlastung.

Artikel „Institution in Sankt Augustin – Honorarkräfte der Musikschule bekommen mehr Geld“ zum Nachlesen

Wermutstropfen

Wie hat die Stadt das in so kurzer Zeit möglich gemacht? Die Stadt Sankt Augustin befindet sich im sogenannten „Haushaltssicherungskonzept“; das heißt, dass die Kommune verschuldet ist und unter keinen Umständen ihre Ausgaben erhöhen darf. So konnte man den Musiklehrenden nur höhere Honorare anbieten, indem man die Musikschulgebühren modifiziert. Die Gebühren im Ganzen erhöhen wollte man vorerst nicht, also blieb nur, die Rabatte zu kürzen. Die Verlierer des neuen Rabattsystems sind ausgerechnet die EmpfängerInnen von Sozialleistungen sowie kinderreiche Familien. Bisher waren EmpfängerInnen von Sozialleistungen bzw. ihre Kinder zu 100% von den Musikschulgebühren befreit. Nun müssen sie monatlich 15 € bezahlen. Das entspricht dem Betrag, der beim ALG II für Kultur und Freizeit vorgesehen ist. Sollten die Kinder aber neben der Musikschule noch einen Sportverein besuchen wollen, wird das Geld knapp.

Wir als Honorarkräfte hatten uns eigentlich dagegen ausgesprochen, dass eine Erhöhung unserer Sätze auf Kosten der einkommensschwachen Familien geht. Allerdings sind die finanziellen Mittel der Stadt begrenzt und man kann durchaus darüber diskutieren, ob man als Musikschule Gebühren, die eigentlich durch das ALG II gedeckt sind, erlassen sollte. Bisher hat die Musikschule hier einen vorbildlichen Weg gewählt und erkannt, dass auch 15 € für den Musikunterricht für einen ALG-II-Empfänger schon zu viel sein können. Es ist sehr bedauerlich, dass die Landesregierung keine weiteren finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, um diesen sozialverträglichen Kurs der Musikschule weiter zu tragen.

Auch für Familien, die mehrere Kinder an der Musikschule unterrichten lassen, galten vorher umfangreiche Rabatte. Diese wurden nun vermindert. Die Musikschule der Stadt Sankt Augustin bleibt zwar weiterhin eine der günstigsten im Rhein-Sieg-Kreis, und der Förderverein der Musikschule kann hoffentlich auch unterstützend zur Seite stehen. Dennoch bleibt es ein Armutszeugnis, dass eine Kommune ihre verfehlte Personalpolitik auf dem Rücken derer sanieren muss, die sie eigentlich schützen und fördern sollte.

Ausblick

Die finanzielle Situation der Honorarkräfte in Sankt Augustin wird sich zwar entspannen, doch am Ziel sind wir noch lange nicht. Die oben genannten Nachteile der Honorarkräfte gegenüber den Festangestellten existieren nach wie vor. Auch ist unsere ursprüngliche Forderung von 30 € pro 45 Minuten noch nicht erreicht – bliebe es bei den oben genannten Maßnahmen, wird sie auch erst im Jahr 2030 erfüllt sein. Selbst eine regelmäßige Steigerung der Honorare bringt also nicht viel, wenn der Grundbetrag zu niedrig ist. Es ist und bleibt ein großer Nachteil, nicht fest angestellt zu sein. Im Jahr 2022 endet das Haushaltssicherungskonzept für die Stadt Sankt Augustin. Uns Honorarkräften wurde von Seiten der Politik versichert, dass man unsere Situation dann noch einmal bedenken und substanziell verbessern wolle. Wir werden die Politiker daran erinnern!

Laura

Bildquellen:
„Foto der Ostseite des Sankt Augustiner Rathauses“: Quelle, Autor: Stefan Knauf 2007, Lizenz: Public Domain

2 Comments

  1. Ulla sagt:

    Gratulation zum Erfolg! ABER – und das trifft sich auch mit eurem Corona-Beitrag: es bleibt ein freiberufliches Arbeitsverhältnis und das hat nichts mit Freiheit zu tun! Wir Freiberufler haben alle Pflichten und im Zweifelsfall so gut wie keine Rechte. Wird eine Veranstaltung fristgerecht storniert bekommen wir keine müde Mark, das gleiche gilt für Sturmschäden, Bahnausfälle, Krankheit usw. Alle Vorteile liegen beim Arbeitgeber, alle Nachteile lasten auf den Schultern der Freiberufler, ganz besonders im Bereich Kunst und Kultur. Ich finde, hier muss sich ganz entschieden was verschieben – bleibt dran!!

    • Laura & Daniel sagt:

      Absolut richtig! Daher ist diese Verbesserung auch nur der erste Schritt. Wir hoffen, dass eine der Lehren aus der Corona-Krise sein wird, dass man diese prekären Beschäftigungsverhältnis nochmal überdenkt. Wir werden uns ganz sicher dafür einsetzen!

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